Eine wunderbare Glosse von Kolja Haaf:
(https://www.jetzt.de/meine-theorie/meine-theorie-der-klimaprotest-kann-von-religionen-lernen .)
Um die Erde zu retten, brauchen wir Angst vor der ewigen Verdammnis.
Der Klimaprotest sollte von den Weltreligionen lernen und sich endlich auch düstere Erzählungen zu eigen machen. Zum Beispiel die von Himmel und Hölle.
Man kann den großen Weltreligionen einiges vorwerfen: massive Spaßverderberei, Fanatismus, Ausgrenzung, Ausbeutung, Unterdrückung, Mord, Folter, Genozid. Aber in einer Sache waren und sind sie, zum Teil bis heute, unschlagbar: Sie können Menschen dazu bringen, etwas zu tun, worauf diese eigentlich keine Lust haben. Über Standes- und Ländergrenzen hinweg. Und das mittels völlig unbeweisbarer Behauptungen! Tip top Marketing.
Wie wäre es deshalb, diese jahrtausendealte Erfolgsstrategie einfach mal statt auf so schwammige Dinge wie Sünde, Vergebung, Verdammnis und Auferstehung auf etwas zu übertragen, das gründlich belegt ist? Den Klimawandel zum Beispiel. „Klimareligion“ ist ja eh schon lange ein rechter Kampfbegriff. Wieso nicht einfach ein bisschen aneignen?
Denn man schaue sich doch bitte mal die Beispiele für die unvergleichbare Überzeugungskraft an, die Religion im Portfolio hat. Gemeint ist die Überzeugungskraft zur Selbstbeschränkung. Das ganze bunte Sortiment an Enthaltsamkeit, Buße und Karma-Pflege: Wochenlange Wanderungen zu Pilgerstätten! Endlose Umrundungen diverser Heiligtümer (am besten auf Knien)! Verzicht auf Schimpfwörter! Verzicht auf Rauschmittel! Fasten wo’s geht! Und sowieso: die wildesten Essensregeln! Dann Spenden ohne Ende! Bei der Beichte alten Männern intimste Geheimnisse erzählen! Leben ohne Sex in jeder Form! Schweigegelübde! Tagelange Meditation! Endloses Beten! Selbstgeißelung! Selbstverstümmelung! Selbstverleugnung! Und nicht zu vergessen: das nie endende Büffeln furztrockener, uralter Texte. Das muss man erst mal hinkriegen.
Was können wir also von den Weltreligionen lernen? Angst ist ganz wichtig.
Und genau das ist die Art von Selbstüberwindung, die es für den Klimaschutz braucht: eine Hingabe, die stärker ist, als die Verheißungen jedes 9,99 Euro-Lanzarote-Trips. Eine Inbrunst, die jeden Manager aus der Ölindustrie voller Reue seine Bonus-Millionen spenden und sich nur noch von regionaler Rauke ernähren lässt. Und einen Eifer, der uns zwingt, täglich ungeduldig unseren Briefkasten nach der Wahlbenachrichtigung zu checken, um endlich das Programm wählen zu können, das die meisten Entbehrungen und den größten Verzicht verspricht.
Denn: Welches „Jetzt gemeinsam gegen den Klimawandel!“-U-Bahn-Plakat irgendeiner NGO hätte bislang so eine Begeisterung hervorgerufen? Eben.
Was können wir also von den Weltreligionen lernen? Angst ist ganz wichtig. Angst vor der realen Hölle: die, in der wir und die, die nach uns kommen, leben werden. Der Nachteil einer realen Hölle ist zwar, dass man sie nicht nach Belieben ausfüllen kann mit Horrorszenarien à la Dantes Inferno. Der Vorteil einer realen Hölle ist aber: Sie ist real. Sie ist eine wissenschaftlich belegte Prognose. Damit dürfte sie eigentlich deutlich glaubwürdiger zu verkaufen sein als vages Gefasel von behörnten Dämonen.
Die andere unerlässliche Zutat für echte Frömmigkeit ist die Hoffnung auf ein Paradies. Oder zumindest auf ein Nirvana. Oder die Liebe Gottes. The good shit eben. Dieser Punkt ist im Fall Klimawandel ein bisschen tricky. Denn im Idealfall wird ja nur Schlimmeres vermieden. Zumindest, wenn es nur um die Erderwärmung geht. Aber da ja hier alles mit allem verbunden ist, kann man das Heilsversprechen auch einfach auf Umweltschutz ganz allgemein ausweiten: Eine heile, ausbalancierte Zukunft wartet da! Ein Garten Eden wird das, in dem keine Schornsteine und Autobahnen mehr die Landschaft verschandeln, sondern glückliche Kinder im Herzen der Großstädte Äpfel von den Bäumen pflücken! Ozeane ohne Plastik, in denen die Korallenriffe nur so wuchern! Ausgestorben geglaubte Arten kehren zurück! Die Erde: eine Arche Noah im All. Man stelle sich nur die Liebe und Dankbarkeit unserer Nachkommen vor. Und die der Erde überhaupt (eignet sich auch hervorragend als Ersatz für eine göttliche Personifikation).
Sprechchöre, originelle Pappschilder, bunte Haare und Bierchen? Panik bekommt man davon nicht.
Eigentlich doch ideale Voraussetzungen, um mit ein bisschen Kommunikations-Know-how die Bewohner dieser Erde zu motivieren, sich und ihre Heimat zu retten!? Stattdessen wird bieder vor sich hingewarnt und gemahnt und selbst der glühendste Aktivismus setzt eher auf das Happy-Go-Lucky-Image engagierter Jugendlicher, gut gemeinte Anpack-Rhetorik und bunten Baumbesetzer-Widerstand als auf die volle, gnadenlose Bildgewalt von Himmel und Hölle. Greta Thunbergs „I want you to panic!“ ging zwar in die richtige Richtung – aber sich zu wünschen, dass Menschen Angst haben ist einfach nicht das gleiche, wie sie dazu zu bringen.
Ein Beispiel: Bei den Protesten gegen die IAA Anfang September in München zogen mehrere Tausend Menschen durch die Stadt. Viele davon jung, gut drauf – Sprechchöre, originelle Pappschilder, bunte Haare, Bierchen. Und, bitte, daran ist ja nichts verkehrt, besser als nichts. Aber Panik? Panik bekommt man davon nicht. Man stelle sich stattdessen vor, die Demo hätte nachts stattgefunden: Donnergrollen am Horizont, während durch die Straßen schweigende Büßerprozessionen ziehen, die nur gelegentlich dissonante gregorianische Gesänge vom Ende der Zeit anstimmen.
Wir brauchen Geschichten, die man sich ängstlich zuflüstert.
Zu dramatisch, unzeitgemäß, unsachlich? Wieso nicht einfach eine nette kleine Unterschriftenaktion in der Fußgängerzone? Pah! Wir haben es lange genug mit sachlicher Aufklärung und Selbstverantwortung versucht und sie scheinen nicht zu funktionieren. Für eine Panik, die die ganze Menschheit erfasst, müssen wir die reale, zukünftige Hölle bis zum Letzten ausreizen. Wir brauchen gnadenlos reißerische Geschichten! Geschichten, die man sich ängstlich zuflüstert. Von Naturkatastrophen, die mit satanischem Lachen aus den Wolken, den Ozeanen und den Erdspalten über uns und die unseren hereinbrechen, während wir uns im Café über die zu kalte Hafermilch im Latte beschweren. Geschichten von Völkerwanderungen biblischen Ausmaßes, die, gejagt von Sandstürmen, gen Norden ziehen und dickliche Wohlstandssünder:innen aus ihren Schrebergartenstühlen vertreiben und von den folgenden grausamen Kriegen ums Überleben in den letzten erträglichen Klimazonen. Geschichten von einer weißglühenden Sonne, die sich in heiligem Zorn über den verbrannten Alpen erhebt und von schwitzenden, zitternden Menschlein, die in den letzten schlammigen Pfützen des Bodensees kauern.
Dann auf der anderen Seite: Die Vision eines kitschigen Paradieses, in dem es wieder weiße Weihnachten gibt, satte Mischwälder, Einklang mit Mutter Natur und eine Artenvielfalt, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft.
Good Cop und Bad Cop halt.
Und das Gute: Anders als mit einem Ave Maria oder einer Umrundung des Kailash lässt sich mit Maßnahmen gegen den Klimawandel eine tatsächliche, kollektive Wirksamkeit erleben, mit der wir diese große Prüfung des Himmels bestanden und uns als würdig erwiesen haben. Was für eine verbindende Erfahrung für die Menschheit!
Deshalb: Schriftsteller:innen, Filmemacher:innen, Werbemacher:innen, Künstler:innen, Designer:innen, Politiker:innen und alle, die sich mit Illusion und Show befassen: Wir brauchen die ganz großen Epen über Rettung und Verdammnis.
Und nur für den – nicht unwahrscheinlichen – Fall, dass dieser Text in irgendwelchen Aufreger-Bubbles als Beweis für die tatsächliche Entstehung einer fanatischen Klimareligion umhergereicht wird, oder anderswo für die Verharmlosung von religiös begründeten Missetaten: Ja, das hier ist Satire. Zumindest zu Teilen. Eine Anregung, angesichts einer fast schon pathologischen Tatenlosigkeit ein bisschen rumzuspinnen. Und nein, niemand fordert einen tatsächlichen Klima-Gottesstaat. Wobei – verglichen mit der sicheren Selbstauslöschung der Menschheit …
(Kolja Haaf hat Psychologie, Literatur- Kunst- und Medienwissenschaft studiert. Dann für Filmproduktionen in Berlin gearbeitet, bis ihn Gerüchte über ein sorgenfreies Leben als Journalist nach München führten. Seit März 2017 Volontär bei der SZ mit Schwerpunkt im Bereich Video.)
Was ist eine Glosse:
Als Glosse wird ein kurzer journalistischer Text bezeichnet, in dem sich der Autor mit aktuellen Nachrichten auf satirische Art und Weise auseinandersetzt. Die Themen einer Glosse können sowohl gesellschaftlich wichtig als auch witzig oder kurios sein. In jedem Fall muss der Autor viel Fachwissen zu dem Thema der Glosse haben. Deshalb muss er sich, bevor er die Glosse schreibt, umfassend mit dem Thema der Glosse beschäftigen.
Unter einer Glosse (von altgriechisch γλῶσσα glóssa, „Zunge, Sprache“, über lateinisch glossa) wird ein meist kurzer und pointierter, oft satirischer oder polemischer, journalistischer Meinungsbeitrag in einer Zeitung, einer Zeitschrift oder im Fernsehen verstanden.
Merkmale einer Glosse:
Die Glosse ist satirisch, ironisch, lustig, zynisch, absolut klar, sowie verständlich, wobei sie idealerweise alle diese Merkmale gleichzeitig vereint. Sie greift in der Regel ein Thema auf, überspitzt es und nimmt es in der Folge journalistisch aufs Korn.
Ü b r i g e n s :
Vor seinem Tod machte der britische Astrophysiker Stephen Hawking eine unheilvolle Prognose: „Wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher, wird der Planet bereits in ein paar hundert Jahren in Flammen aufgehen.“
Mit seinen Theorien zum Universum zog Stephen Hawking zu Lebzeiten nicht nur Forscher, sondern auch Laien in den Bann. Auch nach seinem Tod im Jahr 2018 finden die Ansichten des Astrophysikers große Beachtung. In seiner letzten Botschaft sagte Hawking, die Erde werde für die wachsende Weltbevölkerung auf lange Sicht zu klein und die Menschheit laufe Gefahr, sich selbst zu zerstören. „Wir müssen aktiv eine alternative Lebensweise verfolgen, wenn die Menschheit weitere 1.000 Jahre überleben soll“, sagte Stephen Hawking.
Wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher, könnte die Erde in weniger als 600 Jahren zerstört sein, war Stephen Hawking überzeugt*. Seine Vision: Die Menschen müssen den blauen Planeten bereits in 100 Jahren verlassen, warnte Hawking schon in einer BBC-Dokumentation im Jahr 2017 und eindringlich kurz vor seinem Tod.
Klimawandel spüren wir doch immer mehr: Unerträgliche Hitze- und Kältezeiten, lange Dürreperioden, riesige Überschwemmungen nach gigantischem Starkregen, Schlammlawinen, Stürme und Orkane, Erdbeben, Vulkanausbrüche, die Gletscherschmelze wird immer rasanter, sauberer Trinkwassernachschub immer weniger, Epidemien, Hungersnot in vielen Ländern, Bevölkerungs-wachstum, ganze Völkerwanderungen durch katastrophale Lebensumstände und Kriege rund um die Welt, dazu rigorose Abholzung und Überfischung könnten die Erde wirklich bald unbewohnbar machen.
Weltweit führende Forscher sind alarmiert:
“Wir setzen die Zukunft der Menschen aufs Spiel.”
Die Menschheit hat seit 1970 etwa 60 Prozent aller Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien ausgerottet. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle „Living Planet Report“ der Natur- und Umweltschutzorganisation WWF, an dem 59 führende Wissenschaftler aus aller Welt beteiligt waren. Demnach gingen in den letzten fast 50 Jahren die Bestände von über 16.000 untersuchten Wirbeltieren um weit über die Hälfte zurück. Die Experten sehen in der Ausrottung der Tiere auch eine Bedrohung für die Zivilisation.
“Es geht um viel mehr, als die Wunder dieser Erde zu verlieren, was schon deprimierend genug ist”, sagte WWF-Chef-Wissenschaftler Mike Barrett bei der Vorstellung des Berichts. “Wir haben jetzt ein Stadium erreicht, in dem wir die Zukunft der Menschen aufs Spiel setzen. Die Natur ist kein nettes Extra – sie ist lebensnotwendig für unsere Existenz.”
Die größte Gefahr geht demnach von der Zerstörung der natürlichen Lebensräume aus, gefolgt vom Nahrungsmittelbedarf der stetig wachsenden Weltbevölkerung – 300 Säugetierarten wurden regelrecht aufgegessen. Hinzu kommen Menschen gemachte Faktoren wie Erderwärmung, Abholzung der Regenwälder, Einsatz von Düngemitteln oder Umweltverschmutzung. So sei beispielsweise zu erwarten, dass die Hälfte aller Killerwale an an der Vergiftung mit der längst verbotenen aber sich hartnäckig in der Umwelt haltenden Chemikalie PCB zugrunde gehen wird.
Laut WWF-Bericht ist der Verbrauch aller Staaten der Welt an natürlichen Ressourcen so groß, dass er 1,7 Erden entspricht. Mike Barrett warnt: “Wir schlafwandeln auf eine Klippe zu. Würden 60 Prozent der Menschen verschwinden, wären Nord- und Südamerika, Afrika, China, Europa und Ozeanien fast menschenleer.”
Achten, schonen, pflegen, schützen und lieben Sie unsere Natur und Umwelt, und gehen Sie nachhaltig mit allen Schätzen unserer Erde um – jeder bitte – jeder Einzelne auf dieser Welt… Denn nur dann haben wir noch eine Chance …
Herzlichst Ihre Natascha