Kapitel 05
05. Freundschaft auf italienisch
Giorgio und Max werden von einem penetranten Klingelton geweckt. Schlaftrunken nimmt Giorgio den Hörer ab und brummt: „Was´n los?“ Er hört die fröhliche Stimme vom Notar und ruft, jetzt schon fast wach: „Um Gottes Willen, haben wir verschlafen?“ „Es sein jetzt fünf Uhr Morgens, Signore Lindner. Ich nur wollte wecken.“ Giorgio hört ihn förmlich grinsen und knirscht nur: „Danke, wir sind pünktlich unten,“ und legt auf. Ihr Frühstück besteht nur, wie in Italien üblich, aus Croissants und Espresso. Pünktlich um sechs sind sie fertig, haben das Gepäck im Wagen verstaut und warten auf Palmiotta, der gerade um die Ecke braust. Sie haben verabredet, mit Giorgios Wagen zu fahren. Wenn sie mit der Catalina nach Genua zurück kommen, wollen sie mit Palmiotta´s Wagen nach Porto Maurizio fahren, Luigi dort abliefern und Giorgios Wagen wieder mit zurücknehmen. Giorgio und Max sind um diese frühe Stunde noch nicht ganz wach, aber der Notar ist bereits bester Laune: „Luigi gestern noch Schiff aufgeklart. Wir nur brauchen noch Proviant bringen an Bord und können los segeln“, berichtet er fröhlich. Man merkt ihm an, das seine vermutlich letzte Fahrt auf der Catalina für ihn noch einmal ein großes Erlebnis ist.
In Porto Maurizio angekommen, laden Luigi und Max den Proviant aus, während Giorgio mit dem Notar zum Hafenmeister geht, um die Formalitäten zu erledigen.
Dann kommt der große Moment, wo sie alles im Schiff verstaut haben, die Bug und Heckleinen von den Pollern gelöst, die Gangway hochgezogen und Luigi den Anlasser für den Motor betätigt. Sie wollen die ersten Meilen, aus dem Hafen heraus, mit Motor fahren und erst Segel setzen, wenn sie auf ablandigen Wind trafen. Jeder von ihnen hat sich eine der komfortablen Doppelkabinen im Vorschiff ausgesucht und richtet sich häuslich ein. „Wer übernimmt eigentlich die Kombüse?“ fragt Max und sah hilflos Giorgio an. „Ich habe keine Ahnung vom Kochen und Flo ist nicht da!“ „Ich das machen!“ ruft Palmiotta aus seiner Kabine. „Wer gern gut essen, muss können auch kochen, ich hoffen, alle schmecken meine Cucina, sonst haben Pech. Fruher bei Reisen mit Vittorio, ich haben auch gekocht immer, Vittorio immer gut essen, aber keine Spaß haben an kochen, hat sogar Wasser anbrennen lassen!“ lacht er. „Oh, Dottore ist guter Koch, schmecken immer gut, Bueno Cucina Italiano!“ begeistert sich Luigi.
Er dreht das Ruder hart nach Backbord, der Rumpf löst sich langsam von der Kaimauer. Ganz gemächlich nimmt die Catalina Fahrt auf und gleitet quer durch den Hafen, Richtung Meer. Auch ohne gesetzte Segel sieht sie majestätisch aus.Luigi holt Giorgio ins Ruderhaus und fängt an ihm die Technik zu erklären. Das die Catalina auf dem neuesten technischen Stand ist, hat Giorgio schon mitbekommen, aber das es sogar zahlreiche Erleichterungen zum Segelsetzen gibt, wie zum Beispiel einen Fockroller, eine automatische Vorrichtung um das Focksegel vom Cockpit aus zu bedienen und vieles mehr, ist ihm neu. Selbst Groß und Besansegel können automatisch vom Ruderhaus bedient werden, aber auch, wenn man möchte, von Hand. Giorgio ist hierüber sehr erleichtert, da man dadurch das schwere Schiff doch mit verhältnismäßig geringer Besatzung führen kann und gerade nicht so erfahrene Segler, wie seine Kinder, bei rauer See, keine allzu großen Risiken eingehen müssen.
Sie sind noch keine zwei Meilen gefahren, als sie merken, das sie ablandiger Wind unterstützt. Luigi stellt kurzerhand den Motor ab und fängt an Segel zu setzen. Dann beugt er sich über die Seekarten und erklärt Giorgio den Kurs in Richtung Elba. Bei der Gelegenheit verschafft Giorgio sich auch einen Überblick über die Seekarten. Die für eine Weltumsegelung fehlenden Karten will er schnellstens nachzurüsten. Als Max und Giorgio die aufgeblähten, weißen Segel sehen, das Schiff sich ganz leicht neigt und sie nichts weiter hören, als die Bugwellen und den Wind, strahlen beide glücklich um die Wette. In diesem Augenblick hat Giorgio zum ersten Mal das Gefühl, dass er mit der Annahme der Erbschaft, die richtige Entscheidung getroffen hat. Von dieser Weltumsegelung würden er und die Kinder mehr profitieren, als alle Lehrbücher dieser Welt ihnen beibringen können.
Langsam arbeitet er sich in die diversen technischen Geräte ein und kann das Radar, die Satellitennavigation, Echolot und vieles mehr, bereits gut bedienen. Er lernt, die Segel richtig zu setzen oder zu reffen und Luigi läßt ihn jetzt auch an das Ruder, damit er ein Gefühl für das Schiff bekommt. Giorgio stellt überrascht fest, das die Catalina zwar wesentlich größer und schwerer ist als alles, was er bisher gesegelt hatte, aber doch relativ leichtgängig und ohne große Verzögerung seinen Kommandos folgt. Im Vergleich zu seinen bisherigen Segelerfahrungen, ist das hier für ihn die Königsklasse. Kein Schiff, das er kennt, pflügt so elegant durch das Wasser wie die Catalina. Als er so am Ruder steht, die Gischt auf der Haut spürte und in die geblähten Segel über sich blickt, hat er ein so unbeschreibliches Glücksgefühl, wie schon lange nicht mehr. Alle Sorgen und Probleme sind vergessen. Er fühlt sich in dem Moment unendlich frei. Dieses Gefühl kann man eigentlich nur beim Fliegen über den Wolken, oder eben auf hoher See erleben.
Selbst Max, den Luigi auch mit der Technik vertraut macht, fällt auf, das sein Vater, seit Mutters Tod, noch nie so gelöst und zufrieden aussah, wie gerade in diesem Augenblick und freut sich für ihn. In den letzten vier Jahren hatte sich Giorgio doch sehr in seiner Arbeit vergraben und in der wenigen freien Zeit, die ihm blieb, Flo, Pia und ihm zur Verfügung gestanden. Auch Max ist jetzt überzeugt, dass sie sich mit dieser Reise um die Welt, richtig Entschieden haben.
Weiter draußen, wo die ligurischen Berge keinen Schutz mehr vor dem Nordwind bieten, ist schon eine deutlich höhere Dünung zu spüren, was aber der Catalina überhaupt nichts ausmacht, sondern nur noch schneller die Wellen durchschneidet. Windstärke vier bis fünf, Sonne von einem, nahezu wolkenlosen Himmel und etwa zwanzig Grad bieten beste Segelbedingungen. Luigi meint lachend: „Für Ende November es ist noch ungewöhnlich warm, haben erlebt schon anders hier. Aber, wie man sagt in Deutschland: „Wenn Engel Reise machen, ist immer schön!“
Signore Palmiotta hat zwischenzeitlich einen leckeren Lunch gezaubert. Pasta Variationen mit Kräutern und zum Nachtisch seine Spezialität, selbst gemachtes Tiramisu „a la Palmiotta“, wie er stolz verkündet. Max steht gerade am Ruder als der Notar höchstpersönlich den Tisch vor dem Steuerstand deckt, damit alle zusammen essen können. Vorweg gibt es einen Insalata Mista und zum Essen öffnet er eine Flasche des obligatorischen, ligurischen Rotweins. Ob es nun an der würzigen Seeluft liegt oder an Palmiotta´s Kochkünsten, sie essen mit großem Appetit und kein Krümel blieb übrig.
„Wenn Winde so weiter blasen aus Nordwest, wir können vielleicht schon am Abend Elba erreichen, aber mal sehen!“ Luigi lehnt sich zufrieden in seinem Deckchair zurück und blinzelt in den Himmel. Giorgio steht auf dem Vorschiff, an der Reling und schaut über das Wasser, als er plötzlich Delphine neben dem Schiff entdeckt und ruft: „Wir haben Besuch, eine ganze Delphinschule begleitet uns. Das sind mindestens zwanzig Tiere!“ Alle schauen versonnen dem Treiben dieser eleganten Tiere zu. Außer der ab und zu aufschäumenden Gischt, dem leichten Knarren der Takelage und dem Singen des Windes, ist nichts zu hören. Die Catalina scheint mit den Delphinen um die Wette zu schweben. Giorgio fühlt sich wie in einer anderen Welt. Auch Palmiotta genießt sichtlich diese Momente und flüstert Giorgio zu: „Jetzt wissen, warum Ihre Onkel Vittorio und ich so gerne gefahren mit diese Schiff, solche Momente man kann an Land nicht erleben“! Giorgio pflichtet ihm bei.
Sie haben tatsächlich Glück, der Wind unterstützt sie fast bis Elba. Es ist schon dunkel, als sie auf der Steuerbordseite am Horizont die Leuchtfeuer von Capo Bianco und weiter hinten von Capo Vita aufleuchten sehen. „Wenn wir haben Glück, in einer Stunde, wir sind im Hafen von Porto Ferraio. Bald, sie können sehen, die große, antike Festung der Medici, wo waren Napoleone in Exil. Liegt auf Steuerbordseite, auf einem Berg und ist nachts beleuchtet“, versucht Luigi sich als Fremdenführer. Palmiotta ergänzt: „Ich hier haben gute Kliente von mir, er wohnen in Porto Azzuro und ich ihn rufen an. Wenn sie haben Lust, er holen uns ab am Hafen und wir können zusammen in eine gute Ristorante fahren, mit tipica Cucina Regionale!“ Er sah Giorgio und Max fragend an. Max raunzt Giorgio leise und etwas respektlos in Ohr: „Der Alte denkt auch nur ans Essen.“ „Der Vorschlag ist dankend angenommen“, übertönt Giorgio schnell seinen Sohn und schaut ihn mit strafendem Blick an. Also setzt sich Palmiotta an das Satellitentelefon und ruft seinen „Kliente“ an. Signore Albertoni ist hoch erfreut und will sie gegen halb zehn am Kai in Porto Ferraio abholen. Der Notar erzählt, dass Signore Albertoni auf Elba zwei große Hotels besizt, außerdem noch einige Weinberge. Sein Vino Mola gehört zu den besten der Insel.
Kurz vor neun am Abend schiebt die Catalina langsam ihren Bug in das Hafenbecken, nachdem Luigi vorher, mit Hilfe der Automatik, die Segel gerefft hat. Ganz langsam glitt das Schiff an die Kaimauer. Luigi springt mit einem großen Satz an Land um die Bug und Heckleinen festzumachen. Giorgio schiebt die Gangway runter und ihr Schiff liegt fest vertäut an der Pier. Der Hafen ist fast menschenleer und macht einen etwas gespenstischen Eindruck im diffusen Laternenlicht. Weiter hinten wird die Fähre, die vom Festland herüber kommt, entladen.
Hoch über dem Hafen liegt die große Festung der Medici und Teile der Altstadt Neben der Medici Festung wird der Palazzo angestrahlt, in dem Napoleon fast ein Jahr im Exil lebte und der heute zu besichtigen ist. Georgio und Max lassen diese imposanten Eindrücke gerade auf sich wirken, als ein Geländewagen auf den Kai fährt und direkt vor der Catalina hielt. Heraus springt ein Mann um die fünfzig, ruft laut „Alessandro“ und kommt auch schon die Gangway herauf geeilt. Palmiotta, der sich gerade landfein gemacht hat, klettert den Niedergang hoch und begrüßt Signore Albertoni überschwänglich. Dann stellt er die beiden Lindners vor und drängelt, gleich los zu fahren, da er Hunger hat. Luigi will an Bord bleiben und Wache halten. Der Notar meint zwar, das wäre um diese Jahreszeit nicht mehr nötig, da die Insel nur noch mit wenigen Einheimischen bevölkert ist und keine Touristen mehr da sind. Luigi will aber lieber auf Nummer sicher gehen.
So fahren sie zu viert über die Insel, Richtung Porto Azzuro. Leider können sie wegen der Dunkelheit von Elba nicht allzu viel sehen. Aber der Notar hat den Vorschlag gemacht, erst morgen Abend wieder auszulaufen, damit sie sich tagsüber noch einen Eindruck von der schönen Insel verschaffen können. Porto Azzuro entpuppt sich als gemütliches kleines Fischerdorf, mit schönem Yachthafen und einigen, jetzt geschlossenen Restaurants und Trattorien. Eins ist jedoch hell erleuchtet und man hört lebhaftes Stimmengewirr. „Dies ist La Cantinetta, das beste Lokal in Porto Azzuro und hat das ganze Jahr auf. Diese Lokal ist auch das älteste, dreihundert Jahre alt, hier haben schon die Truppen Napoleons getrunken!“ Da Signore Albertoni ganz gut Deutsch spricht, ist die Verständigung kein Problem. Er meint: „Im Sommer habe ich viele Gäste aus Deutschland in meine Hotels und daher ich haben ein bisschen Deutsch gelernt.“ Giorgio seufzt: „Wenn ich nur halb so gut italienisch sprechen würde, wie sie Deutsch, wäre ich zufrieden!“
Albertoni fragt nicht nach der Speisekarte sondern bestellt gleich bei dem bärtigen Patrone, der aussieht, als sei er sein bester Gast und meinte: „Lassen sie sich überraschen“. Hier gibt es auch Albertoni´s Rotwein auf der Karte, einen samtenen, fruchtigen Vino Mola, den der Gastgeber, zusammen mit Aqua Minerale bestellt. Kurz darauf kommt auch schon die Vorspeise. „Tortelli all´Isolana, Nudeln, gefüllt mit Krabbenfleisch in delikater Krebssoße. Als Hauptgericht „Risotto all´Elbana“, mit frischen Meeresfrüchten und gegrilltem Gemüse. Den Schluss bildet „Trancio al Limone“, eine süß-herbe Limonen Creme mit Marsala Wein.Sie haben vorzüglich gegessen und sind des Lobes voll. Der Patrone lächelt nur leicht verlegen und spendiert der Runde zum Abschluss noch einen Limoncello.
Mittlerweile ist es bereits ein Uhr, als Signore Albertoni seine Gäste wieder zurückfährt, Richtung Hafen von Porto Ferraio. Dort angekommen, sehen sie die Catalina hell erleuchtet an der Pier liegen, selbst die Suchscheinwerfer sind eingeschaltet und tauchen das Hafenbecken in grelles Licht. Von Luigi keine Spur. Als sie aussteigen, hören sie merkwürdige Geräusche im Wasser. Giorgio entdeckt jetzt vor dem Schiff mehrere Menschen im Hafenbecken zappeln. Er hört die Stimme von Luigi, der Fluchend irgendwelche Kommandos gibt. „Was ist los Luigi“? ruft Giorgio und bekommt zu Antwort: „Diese Bandito, diese besoffenen. Die Zwei so voll sind, wie eine ganze Fass Wein und einer gefallen in Wasser. Der andere ist gesprungen auch in Wasser um zu retten seine Amigo, aber beide zu betrunken, um zu retten sich selbst!“ Jetzt konnte man im Schein der Lampen sehen, das Luigi in jeder Hand ein hilfloses Bündel Mensch hielt, die beide verzweifelt versuchten, mit den Köpfen über Wasser zu bleiben. „Warte Luigi, ich helfe Dir“, ruft Max und springt ins Wasser. Giorgio läuft auf das Schiff, holt mehrere Rettungsringe und wirft sie in Richtung der Schiffbrüchigen.
Nachdem Max einen der hilflosen Zecher Luigi abgenommen hat, können sie mit ihrer beschwipsten Last zu einer, ungefähr zehn Meter weiter befindlichen Wassertreppe schwimmen und an Land krabbeln. Giorgio steht schon da und hilft ihnen, die Schnapsleichen an Land zu ziehen. Die Beiden sagen gar nichts mehr, sondern stieren mit leerem Blick auf Luigi und versuchen mühsam wieder auf die Füße zu kommen und stolpern unsicheren Schrittes und triefnass in Richtung der ersten Häuser. Max und Luigi verschwinden unter Deck, um die nasse Kleidung loszuwerden. Giorgio sammelt die Rettungsringe ein und klettert gemeinsam mit Palmiotta den Niedergang runter in ihre Kabinen. Sicherheitshalber hat er vorher die Gangway hochgezogen, um unliebsame Besucher abzuhalten. Giorgio und Max haben ihre Kabinen auf der Backbord- der Notar und Luigi die auf der Steuerbordseite. Giorgios Kabine ist in grün gehalten, die von Max in Gelbtönen, die gegenüberliegenden in Rot- und Blautönen.
Am nächsten Morgen werden sie vom verführerischen Duft nach frischem Kaffee und gebratenem Speck geweckt, und taumeln, noch etwas schlaftrunken an Deck, wo Luigi ein üppiges Frühstück bereitet hat. „Ich mich noch herzlich bedanken, für Rettung von meine Leben!“ stammelt er etwas unbeholfen und schenkt ihnen Espresso und frischen Orangensaft ein. „Signore Vittorio haben getrunken, jede Tag eine Orangensaft zu Fruhstück!“ erklärt er.
Signore Albertoni läßt es sich nicht nehmen, sie um zehn Uhr zu einer Inselrundfahrt abzuholen. „Ich werde Ihnen die Schönheiten von meine Insel zeigen. Elba hat viele verschiedene und aufregende Gesichter“, meint er Stolz. „Die Festung da oben, wir erst heute Nachmittag sehen, ist dann bessere Licht. Jetzt wir fahren in Süden und Westen der Insel. Zuerst, sie sehen Capolivera, eine schöne, kleine Bergstädtchen mit wunderbarem Blick auf das Meer und Porto Azzuro. Dort ist Elba noch traditionell. Dann, wir fahren nach Marina di Campo, Cavoli und immer die Küstenstraße lang bis Patresi. Dort wir werden in kleine, aber gute Pizzeria gehen und danach auf der Nordseite fahren, wieder Richtung Porto Ferraio. Ich denke, dann werden sie haben, eine gute Überblick über unsere Insel!“ Seine natürliche Herzlichkeit und Gastfreundschaft machen großen Eindruck auf Giorgio und Max.
Capolivera, ein steil am Berg klebendes kleines Städtchen, mit schmalen verwinkelten Gässchen, hat es ihnen angetan. Viele kleine Geschäfte und Bars drängten sich um eine Blumengeschmückte Piazza. Die Tische von der Pizzeria stehen noch draußen und gegenüber ragt eine imposante alte Kirche auf. Da der ganze Ort Autofrei ist, muss man den Wagen auf großen Parkplätzen unterhalb abstellen. Giorgio und Max haben das Gefühl, mitten im typisch italienischen Leben, ohne touristische Einflüsse, zu sein. Je weiter sie Richtung Westen kommen, um so wilder und romantischer wird die Gegend. Ihr Gastgeber hält immer wieder an, um besonders schöne Aussichtspunkte auf das Meer oder auch in das Inselinnere zu zeigen. Hier ist die Insel noch am wildesten, meint er, als sie ganz im Westen, bei Chiessi angelangt sind. „Da hinten, am Horizonte können sie erkennen Insel Korsika!“ ruft Albertoni plötzlich, sie können im Dunst eine größere Insel, mit imponierenden Gebirgsketten erkennen.
Besichtigen macht hungrig und so freuen sich alle auf die angekündigte Pizza in der „Pizzeria Centrale“ in Patresi. Diese, auf der ganzen Insel berühmte Pizzeria ist für einige Besonderheiten bekannt. Man geht in die Küche und stellt sich den Belag für die Pizza selbst zusammen. Auch Getränke holt man sich selbst aus einem Getränkekühlschrank. Das Lokal ist recht einfach eingerichtet, fast wie eine Kantine, aber die Pizza hier ist legendär. Giorgio und Max müssen zugeben, noch nie eine so gute Pizza bekommen zu haben, wie hier. Das Lokal ist voll mit Einheimischen. Man kann sein eigenes Wort kaum verstehen aber die Stimmung ist phantastisch. Nach einer zweiten Flasche Vino Bianco del a´ Casa und zwei weiteren Espressi, setzen sie sich in den Wagen und fahren weiter an wildromantische Buchten und traumhaften Stränden vorbei, die im Sommer mit Badegästen bevölkert sind.
Am späteren Nachmittag kommen sie zurück nach Porto Ferraio. Signore Albertoni fährt durch enge Altstadtgassen den Berg hoch, Richtung Medici Festung.
„Diese Festung ist schon 1548 vom Medici Clan gebaut worden. Sie ist Schutz gewesen vor Piraten. Da hinten ist Haus von Napoleone, die Villa dei Mulini. Man kann besichtigen in Sommer. Ist voll mit schöne Möbel und Schriften von Napoleone!“ Sie gehen auf die Villa zu und sehen in den prachtvollen Garten, der hoch über dem Meer liegt und einen wundervollen Blick bis zum toskanischen Festland preisgibt. Max sinniert: „Wenn der olle Feldherr so luxuriös in der Verbannung lebte, könnt Ihr mich auch verbannen, so ein Leben halte ich leicht aus!“ Albertoni erklärt ihm „Napoleon hat hier nicht in der Verbannung sondern im Exil nach seiner Abdankung gelebt. Das waren nur zehn Monate!“„Und er haben gehabt noch eine schöne Landgut in San Martino,“ ergänzt Signore Palmiotta. „Trotzdem, ich lieber leben heute und ohne den ganzen Hofstaat.“ ist er überzeugt.
Auf der anderen Seite haben sie einen tollen Blick auf den Hafen und auf die Catalina. Sie können sogar erkennen, dass Luigi auf dem Sonnendeck arbeitet und eine Gruppe von Menschen auf dem Kai steht und das Schiff bewundert. „Dies sind eine ganz wunderbare Ort zum Nachdenken. Probleme hier alle so klein.“ seufzt Albertoni mit leicht verklärtem Blick. Giorgio macht den Vorschlag, den wundervollen Tag noch mit einer guten Flasche Wein bei ihnen an Bord ausklingen zu lassen und erntet dafür Zustimmung. Also läßt Signore Albertoni seinen Wagen den Berg runter rollen, bis fast zur Catalina. Luigi hat zwischenzeitlich das Steuerhaus neu lasiert und die Ankerwinden überholt. Giorgio bedankt sich und lädt ihn ebenfalls zu einem Glas Wein in den Salon ein. Wenn die Sonne weg ist, wird es draußen schon empfindlich kalt und man ist drinnen besser aufgehoben. Giorgio und Max bedanken sich artig für die schöne Sightseeingtour und öffnen einen Barbero de Álba aus dem Piemont, aus Vittorios Beständen. Albertoni erzählt einige Anekdoten von Elba aus seinem langen Hoteliers Leben und auch Palmiotta trägt allerlei Witziges aus seiner Notar´s Laufbahn bei. Gegen Mitternacht bricht Albertoni schließlich auf, nicht ohne Giorgio das Versprechen abzunehmen, bei seinem nächsten Elba Trip auf jeden Fall bei ihm vorbei zu schauen. „Ciao, Amigo, ciao“, ruft er leicht beschwipst und schwankt von Bord „Polizia schlafen jetzt schon, keine Problem!“ war er überzeugt, kletterte in seinen Wagen und braust davon.
Am nächsten Morgen, na ja, sagen wir Vormittag, wirft Luigi den Diesel an, Max springt auf den Kai, macht die Tampen an Bug und Achtern los und zieht anschließend die Gangway mit kräftigem Ruck an Deck. Giorgio steht am Ruder und lenkt die Catalina langsam in Richtung Hafenausfahrt. Giorgio blickt noch einmal zurück auf die Majestätische Festung über ihnen und denkt an das schöne Programm von gestern zurück. In dem Moment klingelt sein Handy und holte ihn auf den Boden zurück. Es ist Theo, die sich erkundigen will, wie die beiden Männer mit der Christlichen Seefahrt so klar kommen. Außerdem im Auftrag von Hubertus nach einer bestimmten Bauakte fahndet, die sie beim besten Willen nicht finden kann. Nach kurzem Nachdenken stammelt Giorgio kleinlaut: „Verdammt, die liegt bei mir zu Hause auf meinem Schreibtisch. Hab ich vergessen, ins Büro zu bringen. Rufen sie doch bitte Flo oder Pia an, eine von ihnen soll die Akte rüber bringen. Machen sie ihnen schmackhaft, dass sie das ja mit einem kleinen Stadtbummel verbinden können, darauf fahren sie immer ab!“ Theo lacht und wünscht noch „Allzeit gute Fahrt und drei Strich Wasser unter´m Kiel!“
Dann bringt Luigi die Seekarten. Sie legen gemeinsam den Kurs Richtung Genua fest. Elba verschwindet langsam am Horizont. Ganz weit hinten auf der Steuerbordseite können sie die Umrisse der toskanischen Küste erkennen. Giorgio hat bereits Segel gesetzt. Das Schiff neigt sich etwas zur Seite und nimmt jetzt ordentlich Fahrt auf. Da der Wind beständig aus Nordwest bläßt, müssen sie einen Großteil der Strecke gegen den Wind Kreuzen, also einen Zickzack Kurs vornehmen, der wesentlich mehr Zeit kostet. Aber Luigi hat ja von vornherein zwei Tage nach Genua veranschlagt.
Luigi, Giorgio und Max haben deshalb alle Hände voll mit Kreuzen und Wenden zu tun, zumal der Wind auf Stärke sechs aufgefrischt hat.Sie bemühen sich, immer hoch am Wind zu segeln, was bei einem Rah getakelten Schiff wirklich nicht immer einfach ist.
Je näher sie Genua kommen, umso wachsamer wird Luigi, da der Schiffs-verkehr immer stärker und die Freiräume für das Kreuzen und Wenden immer mehr eingeschränkt werden. Durch das Radar an Bord ist auch das kein wirkliches Problem sondern eher eine Heraus-forderung. Plötzlich jedoch dreht der Wind auf Ost und blies nur noch mit Windstärke drei. So können sie sich die Kreuzerei ersparen und mit dem Wind segeln. Da es jetzt langsam dunkel wird, teilt Luigi die Nachtwachen ein. Als Giorgio um zwei Uhr seine Wache von Luigi übernimmt, berichtet ihm dieser zunächst, dass nichts Besonderes vorgefallen ist. Er hat zwar mehrfach Containerfrachter in der Nähe gesichtet, aber so weit weg, das keine Probleme entstehen. Er wünscht eine gute Wache und verschwindet unter Deck.
Giorgio setz sich ans Ruder und schaut auf den Sternenklaren Himmel. Der Mond, als breite Sichel im Süden sichtbar, erhellt das Meer und taucht alles in silberfarbenes Licht. Es ist so still und friedlich, nur das Rauschen der Wellen, die sanften Geräusche der Takelage und ab und zu ein leichtes schlagen der Segel gegen die Masten ist zu hören. Er genießt diesen Moment und hängt seinen ganz persönlichen Gedanken nach. Nach einem Blick auf den Kurs stellt er fest, dass sie einige Grad zu weit nach Backbord gekommen sind und korrigiert das Schiff sanft auf die voraus berechnete Route. Er hat das Gefühl, in den letzten Jahren nie etwas anderes gemacht zu haben, so sehr erfüllt ihn diese Reise. Wenn er daran denkt, das dies sozusagen erst eine Testreise ist und die eigentliche große Fahrt noch vor ihnen liegt, durchströmt ihn ein unbeschreibliches Glücksgefühl, was nur dadurch geschmälert wird, das er auch Charlotte am liebsten daran hätte teilhaben lassen. Ihr hätte dieses Abenteuer mit Sicherheit auch großen Spaß gemacht. Er könnte die Nacht so durchsegeln und ist überhaupt nicht müde, als Luigi gegen vier zu ihm zurückkommt.
„Ich nicht können schlafen, ich lieber hier an Deck die Sterne beobachten und mit Ihnen reden!“ Er setzt sich zu ihm. Beide führen tiefsinnige Gespräche über das Segeln im Allgemeinen und das Leben im Besonderen, oder andersrum. Giorgio entdeckt zu Luigi eine tief empfundene Freundschaft und hat durchaus das Gefühl, dass es auf Gegenseitigkeit beruht. Beide stellen verwundert fest, dass sie sich gerade mal drei Tage kennen und bereits über Gott und die Welt miteinander reden können. Luigi erzählt ihm von seiner Frau, die ihn vor achtzehn Jahren mit seinen beiden Kindern von heute auf morgen verlassen hatte und heute in Bari lebt. Sie ist wieder verheiratet. Seine Tochter studiert in Roma Fremdsprachen und sein Sohn ist bei einer Computerfirma in Milano tätig. Es waren für Luigi entbehrungs-reiche Jahre, da er sehr an seinen Kindern hing. Sein Sohn besucht ihn drei bis viermal im Jahr und seine Tochter kommt immer Weihnachten und Ostern zu ihm nach Imperia.
Er hat sich eine neue Existenz aufgebaut, in dem er sich um die Yachten im Hafen von Porto Maurizio kümmert und viele Verwaltertätigkeiten und Reparaturen für die Eigner übernimmt. Zu manchen, wie auch zu Vittorio Lindner und Alessandro Palmiotta, hat er sogar einen freundschaftlichen Kontakt aufgebaut. Er kommt also ganz gut über die Runden, nur eine Familie fehlt ihm zu seinem Glück. Luigi ist natürlich auch nicht mehr in dem Alter, wo man sich so leicht verliebt. So hat er ab und zu eine Freundin, aber etwas ernsthaftes war bisher noch nicht dabei.
Gegen Neun Uhr morgens sehen sie am Horizont den riesigen Hafen von Genua auftauchen. Luigi refft bald darauf die Segel, um mit Motorkraft in den Hafen einzulaufen. Er hat zuvor ausgiebig mit der Werft telefoniert und sich einen Platz am Reparaturkai zuweisen lassen.
Palmiotta und Giorgio besprechen, was noch vor ihrer großen Reise von der Werft erledigt werden soll. Man einigt sich darauf, die Catalina noch einmal ins Dock zu bringen um auch das Unterwasserschiff gründlich zu überprüfen, den Rumpf von Algen und Muscheln zu befreien und einen Schutzanstrich aufzubringen. Zusätzlich will Giorgio noch eine Garnitur der wichtigsten Segel wie Rah und Stak Segel in Reserve mitnehmen, die Masten, die Takelage, sowie die Rettungsgeräte und das Beiboot gründlich überprüfen, einen Internet Zugang installieren und überhaupt die gesamte Technik noch einmal eingehend durchchecken lassen. Außerdem sollen zusätzliche Sicherheitsleinen und Netze für den Relingsbereich eingezogen werden, um bei schwerem Seegang ein Überbordgehen zu verhindern. Ein zweiter Treibstofftank soll auch noch eingebaut werden, um größere Flauten, zur Not mit Motor überstehen zu können.
Nachdem sie etliche Hafenbecken durchquert und an diversen Container und Kreuzfahrtschiffen vorbeigekommen sind, fahren sie mit langsamer Fahrt in ein kleineres Hafenbecken, wo schon eine Brigg vertäut ist und außerdem noch ein älterer Zerstörer der italienischen Kriegsmarine vor Anker liegt. Auf der Backbordseite ragen zwei Trockendocks auf und mehrere große Kräne. Direkt daneben wird ihnen ein Liegeplatz zugewiesen. Nachdem das Schiff vertäut ist und sie Kajüten, Pantry, Salon und Sonnendeck aufgeklart haben, verlassen sie die Catalina und laden ihre Habseligkeiten in ein zuvor bestelltes Taxi. Luigi bespricht die notwendigen Arbeiten mit dem Werftkapitän, übergibt ihm sämtliche Schlüssel und notwendige Papiere und läuft dann zum Taxi. „Ich haben vereinbart, das Schiff am vierten März muss fertig sein und am Ausrüstungskai bereitliegt. Ich werde überwachen, die Arbeiten und mache wenn fertig, die Abnahme. Ist gute Werft, keine Probleme“, meint er zufrieden.
Das Taxi bringt sie zum Hotel, wo Palmiotta´s Wagen friedlich auf dem Hotelparkplatz vor sich hin schlummert. Sie laden das Gepäck um und machen sich dann auf den Weg nach Porto Maurizio, um Giorgios Mietwagen abzuholen und Luigi nach Hause zu bringen. Giorgio und Max haben beschlossen, heute Abend noch von Pisa aus zurückzufliegen, zumal sie noch zwei günstige Plätze erwischen konnten. Giorgio will sich lieber noch in Hamburg um sein Büro kümmern und die Zeit bis März nutzen, um so viel wie möglich vorzubereiten.
Max will mit seinen Schwestern schnellstens das große Patent Hochseesegeln einschließlich Seefunkzeugnis, machen, um im März alle Voraussetzungen zum Führen der Catalina zu haben. Da sowohl seine Schwestern, wie auch er selbst bereits Segelscheine haben, hofft er inständig, dass die Mädchen sich nicht zu dämlich anstellen und die Prüfungen Ende Februar bestehen. Eigene Schwierigkeiten und Fehler zieht er gar nicht erst in Betracht.„Lass uns noch eine Kleinigkeit aus dem Duty Free Shop für unsere Mädels mitbringen!“ schlägt Giorgio vor. „Oh ja, für Flo Käse, Oliven und Parma Schinken und für Pia ein schönes Parfüm“, feixt Max, in Anspielung auf Flo´s Kochambitionen. Giorgio grinst. „Da könnten sie sich tatsächlich drüber freuen, also versuchen wir´s mal!“
06. Das große Chaos