Betrachtungen zum Buch „Spanien im Blick“– 25 Beiträge über Land und Leute,
mit Fotos von Ángel García, erschienen bei Rotativos del Mediterraneo, S.L., 2018
von Gabriela Sonnenberg
Vor ein paar Jahren luden die Redakteure der Costa Blanca Nachrichten ihre Leser zum offenen Gespräch ein. Es kamen nicht viele, wir passten gut an einem großen Tisch, doch es war genau die richtige Mischung, um eine fruchtbare Unterhaltung zu führen.
Gedanken und Wünsche wurden geäußert, Ideen ausgetauscht, Bekanntes und weniger Bekanntes über die Entstehung und Geschichte „unserer“ spanisch-deutschen Zeitung kam zum Vorschein. Auch Vorschläge wurden gemacht, doch generell war man sich einig, dass eigentlich alles gern so weiterlaufen kann wie in den Jahren davor.
Längst hätte ich dieses Ereignis vergessen, wäre mir neulich nicht das Buch „Spanien im Blick“ in die Hand gefallen. Diese Sammlung an Beiträgen, die unter der Regie des inzwischen pensionierten Chefredakteurs Thomas Liebelt, damals Moderator unserer Gespräche entstanden, hat mich an mein Bestreben von damals erinnert, als scheinbar nicht nur in meinem Herzen ein Wunsch zu keimen anfing.
Plötzlich erinnerte ich mich an die aufmerksame Stille, die sich ausbreitete, als ich meinen ganzen Mut zusammenfasste, um in einem kritischen Anflug zu bemerken, dass uns zwar die CBN eine kostbare Hilfe im alltäglichen Leben in Spanien sei, jedoch in Sachen Kunst und Entzückung ruhig etwas mehr bringen könnte. Speziell was die Spanier und das Land in dem wir leben, mit Geschichte und Geschichten die uns dazu helfen, unsere Wahlheimat nicht nur zu verstehen, sondern auch zu fühlen, fehlten mir sehr. Im Nachhinein erschrak ich selbst über meine beherzte Intervention.
„Ist das denn nicht dreist, von einer Publikation, die sich der unabhängigen Meinungsbildung widmet, zusätzlich auch eine kulturelle Bildung zu erwarten?“, fragte ich mich später.
Diese strenge Trennung von Journalismus und Literatur ist mir schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Viel zu oft stellt man die Journalisten und die Schriftsteller wie zwei unterschiedliche Gattungen Mensch dar. Ja sogar entgegengesetzt sollen sich ihre Arbeiten stehen!
Natürlich muss der Journalist in erster Linie neutral berichten, doch warum bitteschön kann er das nicht auch anhand von Gefühlen und Beispielen aus der erdachten Realität machen? Schließlich beruhen viele literarisch-belletristische Werke auf wahre Begebenheiten. Kann das denn nicht auch umgekehrt funktionieren?
Eine Rückkoppelung von Geschichten und Märchen zurück in die Realität durfte auch erlaubt sein. Besser gesagt, warum in Gottes Namen sollen Zeitungsartikel sachlich bleiben, also nicht auch schön sein dürfen?
Die 25 Beiträge, die ich diesem Buch enthalten sind, erfüllen diesen doppelten Anspruch. Sie sind sowohl informativ, wie auch schön und liefern Antworten auf ganz viele Fragen, die man sich als in Spanien lebender Ausländer zwangsläufig manchmal stellt.
Es geht also doch beides! Und es ist nicht nur möglich, sondern sogar – ja, jetzt komme ich zurück auf mein damaliges Bestreben – tatsächlich eine Bereicherung, die Geschichten der Redakteure des Costa Blanca Nachrichten über Land und Leute zu lesen.
Sobald ich das Inhaltsverzeichnis des Buches überflog, wusste ich, dass ich da meine gewünschte Rückkoppelung finden würde. Von Märchen und Legenden und deren Einfluss auf Kultur und Identität, von einer modernen Monarchie und von der Kultur der Zitrusfrüchte, die sich immer weiterentwickelt, darüber wollte ich lesen! Ich las und las und wurde zusehends nicht nur besser-wissend, sondern auch irgendwie besser-fühlender, empfindlicher für die spanische Lebensart, für die Seele eines Volkes, dessen Geschichte und Geschichten mit uns weiterwachsen.
Die Themen erstrecken sich über ein breites Spektrum, denn Spanien ist nun mal ein weit gefächertes Sujet. Vom Romantischen, wie das Licht der Leuchttürme der Küste, die Gedichte des tragischen Dichters Miguel Hernándes oder die Lieder des Schlagerstars Nino Bravo, über Umstrittenes, wie die ewigen Debatten über die einheitliche Fahne Spaniens, das Referendum der Katalanen, oder der komplizierte Status des Gibraltar-Felsens, bis hin zu wirtschaftlichen Fragen, wie das Fördern von Rohstoffen im Meeresboden, die Müllhalde Meer und das geheime Rezept von Coca Cola wird eine Menge Material zum Nachdenken, Schmunzeln, Lachen und Weinen geboten.
Ob Politik, Geschichte, Musik, Sport, Umwelt oder Sprachwissenschaften, ich bin sicher, jeder Leser wird in diesem Buch etwas für sich entdecken.
Mystery-Liebende können über das Rätsel um das vermeintliche Jugendwerk Da Vincis, welches jetzt in Spanien mehrfach gedruckt wird grübeln, oder sich um das geheime Leben des Spions und Wissenschaftlers Jorje Juan Gedanken machen.
Wer hingegen handfeste Tatsachen und Beweise bevorzugt, kann sich über die erstaunlichen Funde der Höhlenforscher informieren, die Homo Sapiens endgültig vom Sockel holen und stattdessen ab sofort den Neandertaler als ebenbürtigen Vorfahr des modern Menschen betrachten.
Diejenigen die sich um die Zukunft Europas in Anbetracht der großen Migrationsbewegungen machen durfte der Bericht über das Ende der Toleranz im spanischen Mittelalter, als die Morisken vertrieben wurden weiterhelfen. Und so geht es weiter, bunt, vielsagend, offen.
Dazu kommt noch die gut bemessene Länge der Beiträge, die als Häppchen von je ca. 5 Seiten schnell gelesen sind, aber umso länger im Gedächtnis verweilen. Auch visuell nimmt man die umgebende Welt wahr, dank den hervorragenden Bilder des bekannten Fotografen und Mitgliedes der Redaktion Ángel García.
Kaum jemand verfügt über die Zeit, die Geduld und die entsprechenden Sprachkenntnisse, um auf eigener Faust den Dingen die hinter den Bildern, der Musik, den Denkmälern, der skurrilen Bräuchen und ungewohnten Aberglauben stecken auf den Grund zu gehen. Genau das machen dann, wie selbstverständlich, die Redakteure für uns. Sie recherchieren, fassen zusammen, schreiben nieder. Ihre Berichte werden gedruckt und gelesen. Nach einer Woche wird die Zeitung weg sortiert und … bald gerät alles in Vergessenheit. Als ob nichts gewesen! Was für eine Verschwendung!
„Da passiert ein großes Unrecht“, haben sich wohl die Verfasser dieser Beiträge gedacht und legten mit Unterstützung von Clementine Kügler ihre Berichte in einem Buch zusammen. Man kann darin nachschlagen, weiterlesen, langsam genießen, weiter sinnieren… Oder einfach das Buch als gern gesehenes Geschenk dem Freund, Nachbar oder geliebten Familienmitglied mitbringen.
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Wir alle sind irgendwann hierhergezogen, um die sprichwörtliche Leichtigkeit des spanischen Seins auszukosten. Doch beim Lauschen des Wellenklanges oder beim Zuhören eines Flamenco-Gesangs kann es passieren, dass man sich fragt, was dies mit Seele der hiesigen Menschen macht und warum man sich plötzlich auch selbst ein bisschen als ein „Einheimischer in spe´“ betrachtet. Am liebsten möchte man dann wissen, ob es auch anderen ähnlich ergeht.
Dieses Buch ist wie ein Treffen mit einer Reihe genau solcher Gedankenverwandten, die uns bestätigen, dass zum Leben und Verstehen unserer immer wieder erstaunlichen spanischen Welt mehr gehört, als nur hinzuhören. Man muss auch hineinhorchen!
„Spanien im Blick“ richtet den Blick nach innen, schafft Nähe und weckt Interesse. Und es baut Brücken in einer Zeit, in der sich viel zu viele abgrenzen möchten, als Insel betrachten wollen und die aufregende Vielfalt, die uns zusammenhält immer weniger wertschätzen. Diese Beiträge ermöglichen einen freien, wahrhaftig lebendigen Ein- und Ausblick. Die Arbeit der Redakteure hat sich gelohnt!
Benissa, 28. Dezember 2018